Interview mit Philipp Spiegel
«Nicht nur über HIV reden – auch über Sexualität und progressive Familienkonstellationen»

Philipp Spiegel
In meinem Leben als Fotograf heisse ich Christoph Philipp Klettermayer. In meinem Leben als Autor und Künstler heisse ich Philipp Spiegel – ein Pseudonym, das ausschliesslich für meine HIV-bezogenen Arbeiten steht und als persönliche Abgrenzung dient.
November 2019
Sie gehen offensiv mit Ihrem positiven HIV-Status um und schreiben öffentlich darüber. Das war nicht immer so. Wie wichtig ist Ihnen eine Kampagne, die erklärt, dass HIV-positive Menschen unter erfolgreicher Therapie niemanden anstecken, auch nicht beim Sex?
Ich finde das enorm wichtig. Vor meiner eigenen Diagnose hatte ich diesbezüglich keine Ahnung, weiss ehrlich gesagt nicht, wie ich auf einen HIV-positive Partnerin reagiert hätte. Natürlich muss darauf geachtet werden, HIV nicht zu verharmlosen – was die Sache nicht einfacher macht. Ich versuche mittlerweile immer zu vermitteln: Wichtig ist, keine Angst, aber Respekt vor dem HI-Virus zu haben.Um genau diesen Spagat zu schaffen, braucht es auch so differenzierte Kampagnen wie die der Aids-Hilfe Schweiz.
«Wissen über Sexualität befreit und Ängste gilt es
grundsätzlich zu bekämpfen um ein freies,lustvolles Leben zu haben.»
Sie leben in Spanien und Österreich und sind als Fotograf viel unterwegs. Wissen die Menschen in Europa, dass sie vor HIV-positiven Menschen unter Therapie keine Angst mehr haben müssen?
Leider überhaupt nicht. Mir fällt auch immer wieder ein ziemlich grosser Unterschied zwischen Barcelona und Wien auf – nämlich, dass im konservativeren Wien weniger Aufklärung und deshalb mehr Angst herrscht. Durch den recht offenen Umgang mit Sex in Barcelona ist die Hemmschwelle, über negative Aspekte der Sexualität zu reden, auch geringer. Ausserdem hat Barcelona eine sehr grosse Gay Community – dadurch sind generell mehr Menschen mit diesem Thema konfrontiert. Aber insgesamt herrscht noch immer eine Faktenlage, die an die frühen Neunziger erinnert. Doch ich glaube, das ändert sich schon langsam.
Wo und wie sind Politiker_innen gefordert, damit HIV-positive Menschen nicht mehr diskriminiert und stigmatisiert werden?
Politiker_innen müssen aufgeklärt sein und sollen dies auch kommunizieren. Sie sollten nicht nur über HIV reden – auch über Sexualität und progressive Familienkonstellationen. Kampagnen sind natürlich ebenso wichtig und viel zu selten. In Österreich gab es den horrenden Fall, dass eine ehemalige Gesundheitsministerin an einer HIV-Benefizveranstaltung viel Falsches erzählte: So etwas darf einfach nicht passieren, das kann viel Arbeit in kurzer Zeit zunichtemachen.
Was bedeutet der Welt-Aids-Tag für Sie?
Der 1. Dezember ist einer der wenigen Tage, an denen HIV in den Medien thematisiert wird. Leider werden jedoch meist in alljährlich ähnlichen Artikeln die Statistiken präsentiert und die «üblichen» Sachen erzählt. Meiner Meinung nach fehlt es an neuen, originellen Zugängen. Seit ich vor vier Jahren mein erstes Interview gab, haben sich die Fragen, die mir zumindest in Österreich gestellt worden sind, kaum verändert. Das finde ich ziemlich deprimierend. Dieses Jahr habe ich zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember eine Ausstellung in der Nähe von Köln und gebe in den Wochen davor einige Interviews. Ich bin gespannt, ob sich die Fragen doch langsam ändern.
Welches ist Ihr Lieblingssujet der Kampagne und warum?
Am besten gefallen mir die beiden Sujets «Gegen die Angst» und «Für das Wissen», denn um diese beiden Dinge geht es nicht nur in Bezug auf HIV. Wissen über Sexualität befreit, und Ängste gilt es grundsätzlich zu bekämpfen, um ein freies, lustvolles Leben zu haben. Jeder Tag, dem man mit Angst begegnet, ist ein verschwendeter Tag.