Gewichtszunahme unter ART?
Das Thema Gewichtszunahme unter antiretroviraler Therapie beschäftigt viele HIV-Patientinnen und -Patienten. Sind diesbezügliche Befürchtungen berechtigt?

Nathan Schocher
Chef du programme Vivre avec le VIH à l’Aide Suisse contre le Sida
Der Zusammenhang zwischen antiretroviralen Medikamenten und Gewichtszunahme ist derzeit Gegenstand vieler Studien. An der diesjährigen Welt-Aids-Konferenz gab es eine eigene Session dazu. Mehrere Arbeiten bestätigen, dass gerade neuere antiretrovirale Wirkstoffe wie Dolutegravir, Bictegravir und Tenofovir alafenamid (TAF) zu Gewichtszunahme führen können.
So beschrieb etwa eine Studie (1) aus den USA, dass Menschen mit HIV unter ART unabhängig vom Ausgangsgewicht dreimal so schnell an Gewicht zunahmen wie HIVnegative Menschen und nach zwölf Jahren auch einen höheren BMI hatten. Auch in der afrikanischen ADVANCE-Studie nahmen die Teilnehmenden unter Dolutegravir und insbesondere unter der Kombination Dolutegravir plus TAF deutlich zu. (2) Interessanterweise zeigen Studien an überwiegend weissen Männern einen ähnlichen, aber deutlich geringer ausgeprägten Effekt. In der Schweizer Kohorte beispielsweise wurden 2215 Patienten, davon 66 Prozent weisse Männer, auf Dolutegravir umgestellt. (3) Auch hier nahmen die Patienten in den 18 Monaten nach dem Switch zwar signifikant mehr zu als in den 18 Monaten vor der Umstellung – allerdings in geringerem Mass.
Generell sind in vielen Teilen der Welt ansteigende Raten von Übergewicht auch in der Allgemeinbevölkerung zu beobachten. Ein Teil der Gewichtszunahme erklärt sich als Effekt des Gesundens des Körpers, besonders bei Patientinnen und Patienten, die mit tiefen CD4-Werten die Behandlung starten.
Gewichtszunahme nach dem Start der antiretroviralen Therapie ist also in zahlreichen Studien dokumentiert, doch die Ursachen sind unklar. Generell sind in vielen Teilen der Welt ansteigende Raten von Übergewicht auch in der Allgemeinbevölkerung zu beobachten. Ein Teil der Gewichtszunahme erklärt sich als Effekt des Gesundens des Körpers, besonders bei Patientinnen und Patienten, die mit tiefen CD4- Werten die Behandlung starten. Auch hatten ältere HIV-Medikamente wie Tenofovir disoproxil (TDF) oder Efavirenz eher einen gewichtsreduzierenden Effekt, der bei einer Umstellung auf neuere Wirkstoffe wegfällt. Die akzentuierte Gewichtszunahme bei People of Color und bei Frauen könnte durch genetische Differenzen in der Verstoffwechslung der Medikamente verursacht werden.
Es scheint also Vorsicht angebracht bei der Interpretation der Daten; weitere Forschung in diesem Bereich ist vonnöten. Denn immer noch werden in Zulassungsstudien Wirkstoffe mehrheitlich an weissen Männern getestet, während die Mehrheit der Menschen mit HIV weltweit weder männlich noch weiss ist. Wenngleich sich niemand die schlechtere Verträglichkeit älterer Medikamente zurückwünscht, ist doch Übergewicht ein gesundheitliches Problem mit ernsthaften Konsequenzen. So steigt mit Übergewicht das Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme oder Diabetes. Entsprechend lohnt es sich, das Thema im Auge zu behalten. Eine bessere Patienteninformation vor Therapiestart oder -umstellung tut not, zudem muss die Forschung nach alternativen Wirkstoffen weitergehen.
(1) Silverberg M et al., Changes in body mass index over time in persons with and without HIV. 23rd International AIDS Conference, abstract 8747, 2020
(2) Clayden P., ADVANCE 96-week results: dolutegravir weight gain continues, especially in women and when used with TAF — no evidence of a plateau. HTB. 22 July 2020
(3) Mugglin C et al., Changes in weight after switching to dolutegravir containing antiretroviral therapy in the Swiss HIV cohort study, PS 3/5, EACS 2019