Glanzlichter in Montreal
Alle zwei Jahre findet einer der weltweit wichtigsten HIV-Kongresse statt, die World AIDS Conference. Heuer versammelten sich zum 24. Mal seit deren Gründung mehrere tausend Personen in Montreal, um zusammen die neusten Ergebnisse in der HIV-Medizin zu diskutieren. Die SAN fassen die Glanzlichter der diesjährigen Welt-Aids-Konferenz zusammen.


Dominique Laurent Braun
arbeitet als Oberarzt mit erweiterter Verantwortung an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich und ist Privatdozent für Infektiologie an der Universität Zürich. Er ist langjähriges Vorstandsmitglied bei der Sex-uellen Gesundheit Zürich (SeGZ). Seine Forschungsgebiete sind COVID, HIV, Hepatitis C und sexuell übertragbare Infektionskrankheiten.
Von Dominique Laurent Braun | Oktober 2022
Doxycyclin zur Postexpositionsprophylaxe von STI
In der DoxyPEP-Studie wurde die Wirksamkeit des Antibiotikums Doxycyclin für die Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), und Transgender-Frauen untersucht. Doxycyclin wurde von den Teilnehmer:innen als Tablette von 200 mg innerhalb 72 Stunden nach kondomlosem Sex eingenommen. Die Studie ergab, dass Doxycyclin das Risiko für STI (Chlamydien, Tripper und Syphilis) insgesamt um etwa 65 Prozent senkte. Diese Daten deuten also darauf hin, dass Doxycyclin als Postexpositionsprophylaxe (PEP) eine wirksame Massnahme zur Prävention von Geschlechtskrankheiten bei Risikopersonen sein könnte. Allerdings muss in weiteren Studien untersucht werden, ob die breite Anwendung von Doxycyclin zu Resistenzen gegenüber anderen STI führt. Ausserhalb von Studien sollte diese PEP deshalb nicht eingenommen werden.
Long-Acting Cabotegravir als HIV-PrEP bei Cisgender-Frauen
In der «HPTN 084»-Studie wurde die Wirksamkeit von täglich oral verabreichtem Emtricitabin (FTC)/Tenofovir-Disoproxilfumarat (TDF) (Truvada®) mit dem alle acht Wochen in den Gesässmuskel injizierbaren, langwirksamen Cabotegravir (LA CAB) als HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) bei Cisgender-Frauen verglichen. LA CAB erwies sich im Vergleich zur täglichen oralen Einnahme von FTC/TDF insgesamt als überlegen, wobei in der LA-CAB-Gruppe nur drei HIV-Neuinfektionen auftraten, während es in der FTC/TDF-Gruppe deren 20 waren. Es traten keine neuen Sicherheitsbedenken auf, auch nicht bei Frauen, die während der Studie schwanger wurden. Diese Daten bestätigen die langfristige Wirksamkeit von LA CAB zur HIV-Prävention bei Cisgender-Frauen.
Long-Acting Cabotegravir plus Rilpivirin zur Behandlung von HIV
In einer europaweiten Implementationsstudie wurde LA CAB in Kombination mit langwirksamem Rilpivirin (LA RPV) zur Behandlung der HIV-Infektion als Injektion alle acht Wochen in den Gesässmuskel untersucht. Die 430 Teilnehmer:innen mussten vor dem Wechsel auf LA CAB-RPV unter einer wirksamen HIV-Dreifachtherapie stehen, und es durften in der Vergangenheit keine virologischen Versagen aufgetreten sein. Nach Woche 48 zeigte sich unter LA CAB-RPV bei 87 Prozent aller Teilnehmer:innen eine unterdrückte Viruslast. Bei 13 Prozent der Teilnehmer:innen fehlten die Daten zur Wirksamkeit, da 26 Patient:innen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen vor Erreichen der Woche 48 abgebrochen hatten. Ein virologisches Versagen trat nur bei 0,7 Prozent auf, allerdings kam es in diesen Fällen zu Resistenzentwicklung. Zusammenfassend bestätigt sich in dieser
Real-World-Studie die hohe Wirksamkeit von LA CAB-RPV aus den Zulassungsstudien. Als Wermutstropfen bleibt die Erkenntnis, dass sich bei (den seltenen) virologischen Versagen in den meisten Fällen Resistenzen ausbilden und die Anschlussbehandlung sich damit schwierig gestaltet.
Vereinfachte antiretrovirale Therapie: Die Schweizer «Simpl’HIV»-Studie
Im Rahmen der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie wurde über die letzten Jahre die «Simpl’HIV»-Studie durchgeführt. Diese Studie verglich die Wirksamkeit einer vereinfachten HIV-Zweifachtherapie (duale Therapie) mit Dolutegravir (DTG) und Emtricitabin (FTC) gegenüber einer herkömmlichen HIV-Dreifachtherapie bei Patient:innen, die vor dem Wechsel bereits unter einer Therapie gestanden und eine unterdrückte Viruslast aufgewiesen hatten. Über drei Jahre zeigte sich nun eine gleich hohe Wirksamkeit der HIV-Zweifachtherapie gegenüber der Dreifachtherapie. Numerisch gesehen hatten nach 144 Wochen sogar mehr Personen in der Dreifachtherapie eine nicht unterdrückte Viruslast. Punkto Gewichtsanstieg gab es keine Unterschiede: Durchschnittlich betrug der Gewichtsanstieg in beiden Gruppen rund 2,5 Kilogramm über die drei Jahre. Zusammenfassend unterstreicht diese Studie die hohe Wirksamkeit einer Zweifachtherapie bei ausgewählten Patient:innen ohne komplexe HIV-Vorgeschichte und Resistenzen. Ob sich unter der Zweifachtherapie ein Vorteil gegenüber der Dreifachtherapie hinsichtlich der Vermeidung einer Langzeittoxizität ergibt, muss sich erst noch zeigen und ist Gegenstand laufender Studien.
Einfluss von HIV auf Sterblichkeit bei COVID-19-Infektion
In einer grossen Studie mit über 360 000 Datensätzen aus 42 Ländern (davon 95 Prozent in Afrika) wurde einmal mehr versucht, den Einfluss von HIV auf die Sterblichkeit bei einer COVID-19-Infektion zu ermitteln. Der Datensatz umfasste rund 17 000 Personen mit der Diagnose HIV. Im Vergleich zur HIV-negativen Kontrollgruppe hatten Personen mit HIV ein um 15 Prozent erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19-Infektion und ein um 38 Prozent erhöhtes Risiko, im Krankenhaus zu sterben. Die gute Nachricht: Personen mit HIV, die unter einer antiretroviralen Therapie standen, hatten ein deutlich geringeres Risiko für einen tödlichen oder einen schweren Verlauf als diejenigen, die keine antiretrovirale Therapie einnahmen. Zusammenfassend bestätigt auch diese Studie das höhere Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Verlauf von COVID-19 bei Menschen mit HIV gegenüber den HIV-negativen Kontrollgruppen. Sicherlich ein Argument dafür, sich diesen Herbst/Winter erneut gegen COVID-19 impfen zu lassen.
Heilung von HIV: Der «City of Hope» Patient
Seit dem berühmten «Berlin»-Patienten Timothy Brown ist klar, dass HIV geheilt werden kann – wenn auch nur mit sehr grossem Aufwand und potenziell tödlichen Prozeduren wie Stammzellentransplantation und Ganzkörperbestrahlung. Insgesamt waren bis anhin drei solche Fälle bekannt. Nun gilt eine weitere Person als von HIV geheilt: An der Konferenz wurde er als «City of Hope»-Fall beschrieben, da er im gleichnamigen Spital behandelt wurde. Der heute 66-jährige Mann hatte 31 Jahre lang mit HIV gelebt, als er an einem aggressiven Blutkrebs erkrankte. Als Therapie gegen den Krebs erhielt er drei Chemotherapien und zuletzt eine Stammzellentransplantation, die Immunzellen eines gesunden Spenders mit einer natürlichen HIV-Resistenz enthielt. Vier Jahre nach der Transplantation lebt der Mann ohne antiretrovirale Therapie und scheint von HIV geheilt zu sein.